Kinderfotos und die Sache mit der Peinlichkeit

 

Kinderfotos im Netz? Das Deutsche Kinderhilfswerk spielt derzeit eine Kampagne mit ein paar sehr guten Vorschlägen für einen realistischen Umgang mit diesem gesellschaftlichen Dauerbrenner und hat mich gefragt, was ich dazu denke.

 

Ich denke, dass ich meine Kinder, Fotos und vor allem mein Handy liebe. <3

Jeder der mich kennt, weiß das. Ich müsste mit meinem Handy auf Passfotos abgebildet sein, damit man mich zuverlässig erkennt. Es schläft bei mir im Bett und neulich habe ich es sogar mit unter die Dusche genommen, weil ich mich nicht von dem Video mit dem farbenblinden Jungen trennen konnte, der mit einer Spezialbrille zum ersten Mal bunte Luftballons sah. Meine Tränen kamen nicht von Shampoo in den Augen, soviel steht zumindest mal fest. Mir ist übrigens vollkommen klar, dass diese Liebe ungesund ist, aber wer beim Thema „ungesunde Liebesbeziehungen“ ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein auf pochende Herzen. Meine Kinder bekommen das natürlich mit, es prägt sie und meine Tochter knipste neulich mit meinem Handy ihr erstes Selfie, während mein Sohn sich selbst permanent beim Witze-Erzählen filmt. Das sind die längsten Videos in meinem Speicher und die Pointen sind, sagen wir mal, eher flach als durchschnittlich.

 

 

Hier kommt der Punkt, an dem ich drei Kreuze mache, dass ich erst in meinen späten Teenagerjahren ein Handy besaß und die Smartphonezeit noch viel später kam. Ich wäre sozial absolut erledigt, könnte man mich und das was ich für witzig oder schön hielt heute 25 Jahre Jahre in die Vergangenheit nachvollziehen. Es ist schlimm genug, dass diese Bloggerei dazu geführt hat, dass ich über meine eigenen Statements im Netz stolpere und mir selbst hin und wieder eine empörte Email schreiben will, weil ich nicht mit meiner Meinung einverstanden bin. Ich mache damit meinen Frieden, denn es wäre schlimm, wenn ich überall noch dieselben Schlussfolgerungen oder Einschätzungen abgeben würde wie vor 6 oder 8 Jahren. Meine Generation kann damit untereinander ganz gut umgehen, finde ich. Wir kennen das fast alle. 

 

 

Aber was heißt das für unsere Kinder und Fotos? Müssen wir die Kids jetzt vor sich selbst schützen und sie von digitalem Netzwerken fernhalten, weil es heute eben gespeichert ist, bis sie alt und grau sind? Ich glaube – ganz die Juristin – es kommt darauf an. Ich habe nämlich Vertrauen darin, dass die Kinder von heute eben auch mit den Medien ihrer Zeit groß werden und sich darin so halbwegs sicher bewegen, wie wir auch in den Medien unserer Zeit. Und es für sie einfach normal sein wird, dass 90% ihrer Mitmenschen peinliche Videos produziert haben, in dem sie Pups-Flachwitze machen. Das eine Kind geht damit bedachter ins Rennen, das andere Kind unbedachter, manchmal auch schlicht selbstgefährend – und da können wir durchaus lenken, erziehen, sensibel machen oder sogar verbieten. Ausbaden müssen sie es eines Tages ganz allein und sind damit aller Voraussicht nach in bester Gesellschaft. All die anderen Gefahren, so zum Beispiel die datenschutzrechtlichen Bedenken, habe ich in einem sehr langen Blogbeitrag vor Jahren mal adressiert, der so schön hieß "Mein Tagebuch, Polka und der Landesverrat". Ich verlinke ihn hier, ohne die Sicherheit, dass ich es heute noch genauso sehe.

 

 

Aber was machen wir eigentlich mit den ganzen Fotos, die wir selbst für unsere Kinder ins Netz gestellt haben? Und mit dem Aspekt, was andere Menschen mit diesen Daten anstellen können? Was ist mit den Fotos, die wir verbreiten, ohne unsere Kinder zu fragen und für die sie selbst keinen selbstreflektierenden „Tja so war ich eben, ich fand mich da halt gut“-Seelenfrieden entwickeln können? Was ist mit den Fotos aus einer Zeit ihrer Kindheit, in der wir es als ganz selbstverständlich wahrnehmen, unser Söhnchen in der Familiengruppe auf dem Töpfchen zu teilen? Ich wähle bewusst nicht das Beispiel von Instagram oder Facebook, sondern den Teil unseres Smartphonelebens, in dem wir ganz genauso die Kontrolle über eine Verbreitung von Bildern abgeben, aber denken, dass sei „privat“. Messengerdienste sind es nicht. Sie sind es schon deswegen nicht, weil viele Apps unzähliger Anbieter einen von uns per AGB genehmigten Zugriff auf unsere Fotos in den Smartphones haben. Selbst wenn wir einen sicheren Messanger benutzen und immer sehr penibel auf datensichere Apps achten, heißt das noch lange nicht, dass diejenigen, die Fotos unserer Kinder geschickt bekommen auch so umsichtig sind. 

 

Die Fotos auf den meisten Handys sind nicht sicher, privat oder „bei Oma an der Fotowand“, so wie früher der Fotoabzug vom Urlaub unterm Weihnachtsbaum. Niemand hindert Opa daran, das Foto vom ersten Töpfchengang an Tante Hannelore via Threema oder Telegram weiterzuleiten, weil er so stolz auf seinen Enkel ist. Und Tante Hannelore schickt es ihrem Sohn Basti über WhatsApp mit dem Hinweis, dass das Kind seiner Cousine offenbar schon trocken sei. Und Basti – seit Jahren genervt von seiner Prachtcousine – macht einen Screenshot von der Konversation für seine Frau, die das mit ihren Freundinnen in einer Facebookgruppe teilt und irgendwie kann keiner mehr nachvollziehen, wie das Bild Deines Kindes auf Twitter landete, mit dem Hinweis „Wir hassen Angebereltern“. 

 

Und für diejenigen, die jetzt beruhigt sind, weil sie selbst noch nie ein Bild ihres Kindes über einen Messenger verschickt haben: Seid sicher, dass es jemand anderes getan hat. Von Eurem Kind. Da reicht ja das Foto bei der Einschulung, auf der es strahlend neben dem neuen Klassenkameraden steht.

 

Deswegen jetzt in ein dramatisches Fotoverbot für sich und die Mitmenschen zu verfallen halte ich für wenig zielführend. Auch permanente Kindergesichts-Vermummung außerhalb der eigenen vier Wände ist unpraktikabel. Ich glaube stattdessen, dass es schon fast reichen würde, wenn das Augenmaß und Respekt vor den Rechten anderer Einlass hält in unsere Knipserei. Heutzutage mit dem Handy die gesamte Einschulungsfeier zu filmen ist zunehmend eher unangebracht. Ein Smartphone ist keine High-8-Kamera, die unsere Eltern noch dafür nutzten, sondern es ist mit Dritten und den Datenkraken verbunden. Das eigene Kind als Kurzvideo, wie es stolz auf das Treppchen eines Sportwettbewerbs klettert, ich würde sagen, das ist was anderes. Ich habe eben keine analoge High-8Kamera dabei und es ist mein Kind im Fokus auf einer öffentlichen Sportveranstaltung. Wie sieht es für Euch mit dem Video beim Seepferdchen-Schwimmkurs aus, wie sie da schlotternd am Rand stehen und auf ihren Einsatz warten? Regt sich da ein Störgefühl für ein fremdes Kind, das mit auf eurem Video oder Foto ist? Das ist gut, denn auf dieses Gefühl müssen wir viel mehr hören, diesem Gefühl müssen wir mehr Einfluss auf unser Handeln zugestehen. Der Kindergeburtstag? Wer macht da bitte keine Fotos? Natürlich machen wir das. Aber das Gruppenbild stellt man nicht auf Instagram ein, ohne die Eltern der anderen Kinder um Erlaubnis zu fragen. Die haben hier nämlich uneingeschränkt das sagen! Für die rechtliche Vertiefung des Themas verlinke ich hier ein Interview aus dem vergangenen Sommer dazu, und hier noch eines meiner lieben Kollegin Arzu Erdogan auf dem Blog Mutterkutter.

 

Zurück zu uns: Lassen wir es also nicht so weit kommen, dass unsere Kinder zu Recht total sauer auf uns sind, wenn sie sich in 10 Jahren irgendwo im Netz im Piratenkostüm wiederfinden. Oder auch jetzt schon genervt sind. Fragen wir sie doch einfach, ob wir ein Foto posten oder verschicken dürfen.

Wir fragen sie doch sonst auch den ganzen Tag irgendeinen profanen Unsinn, weil wir finden, dass sie selbst entscheiden sollten der können. Pommes mit Majo oder Ketchup? Willst Du wirklich "Schüttel deinen Speck" als Vorsing-Lied bei der ersten Chorprobe performen? Und auch die Diskussion um Schlafanzüge als vollwertige Kleidung für den Kindergarten oder Sandalen im Winter haben wohl schon das ein oder andere Mal aufgegeben: „Wenn Du das anziehen möchtest Schatz, meinetwegen." Schon fünfjährige Kinder haben ein ganz gutes Gefühl dafür, wer sie sein wollen und wie sie wirken wollen, das lässt sich wissenschaftlich belegen. Mein Sohn beispielsweise plant derzeit, sich die Haare überschulterlang wachsen zu lassen und dann ein rotes Cape zu tragen, damit er aussieht wie Thor. (Ich hab ihn übrigens gefragt, ob ich das schreiben darf.)

 

„Ich hab das Kind gefragt“ ist nicht jeder Weisheits letzter Schluss oder eine Generalrechtfertigung. Wenn wir Grenzen überschreiten, rechtfertigt uns nicht das niedliche Einverständnis unseres Kindes. Aber es einzuholen zeigt Respekt und bringt unseren Kindern von klein auf eine Wertigkeit bei, die angesichts der Digitalisierung stetig steigt: Das eigene Gesicht oder das eigene Wort im Netz ist wertvoll. Und es gehört nur Dir. 

Diese Frage ist eine gesunde Hürde für unsere unbedachten Handlungen.

Jedesmal wenn wir ein Foto unserer Kinder an andere Menschen verschicken oder teilen.

 

Im Zweifel lassen wir es dann doch einfach sein und verlassen uns darauf, dass sie sich eh schon mit den Einträgen in den Freudebüchern sozial genug exponiert haben, wenn sie wieder "popeln" in der Spalte „Das mache ich in meiner Freizeit:“ in buntstiftfarbener Schönschrift eingetragen haben.

 

 

#DenkenFragenPosten

#VonMeinemKindgenehmigt.

#ThorhateinenrotenUmhang?

 

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