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"Bis Du endlich tot bist" - Digitaler Nachlass und Kinder

Meine Tochter musste neulich Schuhe anziehen. Damit war der Tag bereits gelaufen. Vor dem Supermarkt durfte sie nicht alleine im Auto bleiben und dann nicht mit dem Helikopter-Automaten am Eingang fliegen. Selbstverständlich war es nur meine Schuld, dass keine Kinder-Einkaufswagen mehr da waren und die Schlange an der Käsetheke war sehr lang. Und das obwohl unsere Tochter Käse entschieden ablehnt. Außer es ist Wickie oder ein anderer blöder Zeichentrick-Heini auf der Wachshülle aufgedruckt, dann geht selbst ‚ne Harzer Rolle mit Schwarzbrot. Zudem durfte sie keinen Feen-Joghurt kaufen, keine Gesichterwurst an der Fleischtheke bestellen und kein Lillifee-Comic mit eingeschweißtem Lidschatten für Vierjährige für 4,99 Euro kaufen und auch kein Überraschungsei oder Eis mit Kaugummistiel.

 

Als sie dann auf dem Weg zum Parkplatz nicht mal die Bildzeitung von dem netten Studenten an seinem Promotionstand abonnieren durfte, war es so weit: Sie lud mich von „all ihren Kindergeburtstagen“ aus.

 

Bis ich „endlich tot“ bin.

 

Auf der diesjährigen Blogfamilia 2018 in Berlin hielt ich im weitesten Sinne eigentlich genau dazu einen Vortrag: „Was geht ab, wenn ich tot bin?“  An diesem Tag schien die Sonne gefühlt das erste Mal in diesem Jahr, überall hingen Luftballons und gut gelaunte Leute herum, eine Dinosaurier-Band spielte Heavy-Metal für Kinder und lustig maskierte Blogger machten Fotos in einer Fotobox. Da musste dringend jemand die Stimmung verderben und das war ich. Der Inhalt des Workshops folgt hier und trägt den Titel:

 

„Digitale Ordnung muss sein- Wie wir rechtskonform ins Gras beißen, ohne unsere Angehörigen wahnsinnig zu machen.“

 

Wir wollen kein Chaos hinterlassen und es trägt zu einem merkwürdigen Gefühl der Sicherheit bei, wenn wir geregelt haben, wie mit unseren Hinterlassenschaften umgegangen werden soll.

Je weniger geregelt ist, desto mehr Arbeit entsteht für die Erben und oftmals auch große Unsicherheit und Streitpotential. Der Gesetzgeber hat deswegen Regelungen geschaffen, die immer dann gelten, wenn man keine individuellen Regelungen in einem Testament getroffen hat.

 

Ich habe mehrere Testamente. Eins für alles passt mir nicht, ich möchte und darf das rechtlich auch so machen und oftmals empfiehlt sich das sogar. Eins schrieb ich betrunken mit meinem Freund Michael, in dem wir festlegten, wie unsere Beerdigungen ablaufen sollen und ernannten uns jeweils zum Zeremonienmeister. Ich verfügte unter anderem, dass bitte kein Sand oder Blumen in mein Grab auf meinen Kopf geworfen werden mögen, sondern ein auf mich geleertes, biologisch abbaubares Schnapsglas. Er verlangte als kirchliche Ausmarschmusik „Champagner für die Damen“ von Harald Juhnke. Es gefiel uns auch nüchtern wirklich gut, deswegen bleibt das so. Trinken mit Juristen - Hurra.

 

Wer erbt was?

 

Unsere gesetzlichen Erben sind je nach Familienstand der Ehepartner, die Kinder oder die eigenen Eltern oder die Geschwister (hier gibt es eine klare Rangfolge). Die treten unsere „Gesamtrechtsnachfolge“ an, das heißt sie bekommen auch (fast) alle Rechte und Pflichten, die wir zu Lebzeiten hatten. Die einzigen Ausnahmen sind die Ehe und der Arbeitsplatz: Niemand ist plötzlich mit unserem Mann verheiratet und man ist leider auch nicht endlich Ballerina, wenn die Mutter oder die Tochter in einem Ensemble tanzte.

 

Testamentarisch können wir die gesetzliche Erbfolge ändern (bis auf den Pflichtteil) oder Verfügungen treffen. Auch für alles, was wir Online so angestellt haben. Wir können also zum Beispiel auch außerhalb eines Testaments, das unsere Erben betrifft, weitere Verfügungen treffen die unsere Freude betreffen und sie darum bitten, bestimmte Dinge für uns zu erledigen. Zum Beispiel sich um unsere E-Mails oder Social Media Accounts zu kümmern, wenn wir gestorben sind.

 

Die neuen Richtlinien zur DSGVO führen gerade zu einer wahren Emailflut und die hat auch was Positives: Nun wissen wir alle mal, wo wir eigentlich überall registriert sind! Mich hat das ganz schön schockiert. Ich habe die Gelegenheit genutzt, einerseits auszusortieren und mich abzumelden, wo ich ohnehin seit Jahren eine Karteileiche bin. Andererseits habe ich eine neue Liste erstellt mit Anmeldenamen und Passwörtern. Diese Liste werde ich hochoffiziell und separat zu meinem eigentlichen Testament „vererben“ an jemanden, der meinen „Digitalen Nachlass“ verwalten soll. In meinem Sinne. Ich habe es „DIGITALES TESTAMENT“ genannt und das könnt ihr auch machen.

 

Hierfür müsst ihr Euch über einige Punkte Gedanken machen und diese dann – möglichst nüchtern- aufschreiben.

 

Was ihr mit dieser Liste (oder den verschiedenen Listen) macht, ist Euch überlassen. Das Erbrecht ist höchst individuell und gibt Euch viele Möglichkeiten. Ihr könnt kein Testament oder auch ganz viele machen oder auch nur eins für alles. Diese könnt ihr zum Beispiel jeweils notariell hinterlegen lassen. Ihr könnt sie zu Lebzeiten auch schon demjenigen aushändigen, der sie „vollstrecken“ soll und dem ihr wirklich vertrauen könnt oder ihr versteckt sie an einem sehr geheimen Ort und sagt jemand anderem, wo das ist und was er damit machen soll. Es gibt auch die Möglichkeit diese Liste in einem sogenannten "Passwortmanager" zu hinterlegen. Das erleichtert den Vorgang, wenn man Passwörter ändert. Hierfür gibt es denn einen "Master-Key" und ein Passwort, dass ihr der auserwählten Person im Todesfall zugänglich machen müsst.

 

1.Welche Accounts sind kostenpflichtig bzw. welche sind Abonnements, die gekündigt werden müssen? (Netflix, Spotify, Amazon Prime, etc.)

 

96% aller Deutschen wissen nicht genau, wie viele laufende Verträge sie haben. Wir haben im Schnitt acht Verträge, die sich automatisch verlängern. Vier davon ohne dass wir es wissen. (Glaub ich in meinem Fall sofort).  Verträge laufen auch nach Eurem Tod weiter. Die wenigsten Verträge enden automatisch mit dem Tod, sondern müssen gekündigt oder abgewickelt werden. 

 

Eure Erben müssen aber wissen, wo überhaupt was läuft. Auch gebuchte Urlaubsreisen über ein Portal müssen storniert werden oder bei Ebay verkauftes Kinderspielzeug versendet werden. Darüber wissen Eure Erben nur Bescheid, wenn sie die Zugänge haben und einen Überblick, wo ihr überall kostenpflichtig registriert seid.

 

2. Welche Accounts haben eventuell Geld rumliegen (Online-Bezahldienste) und was soll mit dem Geld passieren? Was ist mit Onlinebanking oder Ratenzahlungen beim Online-Versandhaus? Was passiert mit gekauften Songs oder E-Books?

 

Neun von Zehn Onlinenutzern kaufen auch online ein. Mehr als jeder zweite nutzt Onlinebanking. 800.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland. Man kann sich leicht ausrechnen, wieviel da zu regeln ist. Auch hier solltet ihr die Dienste, die im engen oder weiten Sinne Geld für Euch verwalten oder wo Ratenzahlungen laufen, auflisten. Diese müssen vom Erbe abgelöst und aufgelöst werden. Die Suche in Euren Emails nach solchen Verträgen und Konten gestaltet sich sehr schwierig, denn es ist immer noch nicht rechtssicher geklärt, wie und ob und in welcher Form auch Emailaccounts vererbt werden können. Hierzu mehr unter „Emails.“

 

Zwar bekommt „ihr“ auch irgendwann echte Briefpost mit Mahnungen der Menschen, denen ihr zu Lebzeiten Geld schuldet, aber die interessieren Euch auf Eurer Wolke herzlich wenig. Die Hinterbliebenen schon und jedes Mal kommt neues Bauchweh. Deswegen gilt auch hier: „Wie wir unsere Angehörigen möglichst wenig wahnsinnig machen.“. Oftmals liegt auch noch bei Bezahldiensten Geld herum oder Gutschriften bei Versandhändlern. Die stehen Euren Erben zu. 

 

Übrigens sind die E-Books oder die Songs die ihr online gekauft habt meistens „Lizenzen“. Das heißt, diese Lizenzen sind an Euch persönlich gebunden und fallen in der Regel nicht in das Erbe. Eure Bücher im Regal und Eure CDs (*haha) aber durchaus.

 

  

3.Was soll mit meinen Social Media Accounts passieren bei Instagram, Twitter und Facebook? Bei Xing, LinkedIn und all dem anderen Kokolores?

 

Bei mir macht das alles meine Freundin Anna. Wenn sie sich ausgeweint, ausgetrauert und alles ausgetrunken hat, möge sie meine Accounts und meinen Blog in ihrem Sinne nutzen und alle reputationszerstörenden Fotos oder Anekdoten posten, die ich mir jetzt beruflich leider nicht leisten kann. Oder alles löschen.

 

Auch ihr müsst vorsorgen:

Bei den sozialen Netzwerken entstehen eher keine monetären Verpflichtungen für Eure Erben, aber unter Umständen soziale Probleme und Bauchschmerzen. Angeblich stirbt alle drei Minuten ein Facebooknutzer, ohne geregelt zu haben, was mit seinem Account passieren soll. Manche Anbieter regeln auf ihrer Plattform, wie nach Euren Tod damit umgegangen werden kann. Ihr könnt auf Facebook einen „Nachlasskontakt“ bestimmen oder Euer Profil in einen „Gedenkzustand“ versetzen.  Bei Google kann man festlegen, was passieren soll, wenn man sich drei- , sechs- oder neun Monate nicht eingeloggt hat. Twitter beispielsweise hat das nicht. Dirk Bach und Frank Schirrmacher sind noch immer auf Twitter zu finden. Auch bei Social Media Accounts bietet sich also eine Liste mit Euren diversen Mitgliedschaften und Passwörtern an und eine Anweisung, was damit jeweils passieren soll.

 

4. Was ist mit meinem Blog und meinen Kooperationen?

Hier für die Blogger, die monetär wertvolle Homepages haben oder laufende Kooperationen: Auch das ist Erbe. Auch hier müsst ihr regeln, was damit passieren soll. Die Domains sind in der Regel vererbbar. Soll das Ganze weiterbetrieben werden und von wem? Die Kooperationsverträge sind eventuell an EUCH gebunden als Botschafter und Influencer. Hier bietet sich eine Regelung in Euren Kooperationsverträgen an. Auch ausstehende Rechnungen müssen eingetrieben werden können bzw. gekündigt werden. Wer hiermit sein Geld verdient, sollte sich notariell beraten lassen. Erbrecht ist sehr individuell und wirklich kreativ und alle möglichen Alternativen, die für den einen gut, den anderen schlecht sind, sprengen den Rahmen eines solchen Artikels. Ich möchte hier nur anstupsen zumindest DIESEN Teil Eures Nachlasses mal anzugehen, denn den habt ihr ja in jedem Fall schon heute produziert. Eigene Kinder oder die erste Million oder die Ländereien kommen vielleicht erst später ;).

 

5. Was passiert mit meinem Emailaccount und wer kann sich in mein Tablet oder auf meinen PC einloggen? Was ist mit meinem Smartphone?

Emails und Chats sind eine ganz heiße Kiste und es war bisher noch nicht geklärt, ob sie wie Tagebücher oder Briefe behandelt werden oder nicht. Tagebücher und Briefe sind ganz klassisch vererbbar. Eure Emails bisher nur, wenn sie vom Server runtergeladen wurden.

 

Mit einem Erbschein kann man bei einigen Providern verlangen, auf Emails zugreifen zu dürfen. Web.de erlaubt das zum Beispiel nur ein einziges Mal um das Passwort zu ändern. Nun müssen Eure Erben aber erst einmal wissen, bei welchen Provider ihr wart und einen Erbschein gibt es außerdem nur, wenn man das Erbe angenommen hat. Oftmals geben uns Emails aber erst die Möglichkeit auszuloten, ob wir ein Erbe überhaupt annehmen wollen! Denn man kann auch Schulden erben. Das will keiner.  

 

Ihr könnt also jemandem Eure Emailpasswörter oder Log-Ins vermachen, das ist sicherlich am einfachsten. Über Emails regelt sich sehr viel. Emails sind aber teilweise auch hoch privat und reichen weit in die dunkle Vergangenheit. Drum prüfet wer all Eure Schandtaten wissen darf oder eh schon weiß. Mehr Friendship geht nicht. Falls ihr das nicht wollt, regelt, dass die Emails explizit NICHT in das Erbe fallen sollen und die Accounts und deren Inhalt gelöscht und das Handy in der Ostsee versenkt werden sollen. Rituell natürlich.

 

6. Was ist mit diesem Facebook-Messenger und dem Rechtstreit der Eltern gegen Facebook auf Zugang zu den Nachrichten?

 

Just heute am 12. Juli 2018 hat der BGH endlich entschieden(BGH Az III ZR 183/17): Fünfeinhalb Jahre nachdem die Tochter verstarb haben sich die Eltern als Erben gegen Facebook durchgesetzt. Sie bekommen Einblick in das Nutzerkonto der Tochter. Der Vorsitzende Richter begründete bei der Urteilsverkündung, dass digitale Inhalte nicht anders zu behandeln seien als Tagebücher. Das Konto der Tochter war in den Gedenkzustand versetzt und die Eltern erhofften sich durch Zugang zum Messenger Aufklärung über den Suizid des eigenen Kindes. Da hier auch die die Privatsphäre derjenigen betroffen ist (Fernmeldegeheimnis), die mit der Tochter gechattet hatten, erlaubte das Kammergericht Berlin den Zugang zunächst nicht. Der BGH begründete sein Urteil nun mit dem Nutzungsvertrag, den das Mädchen mit Facebook hatte und diese Rechte und Pflichten seien auf die Erben übergegangen. Hier wird also einiges ins Rollen kommen in der nächsten Zeit und das ist gut so!

 

Drum schließe ich hier das morbide Thema und empfehle euch ein (!) Glas Wein zur Hand zu nehmen, einen Zettel und einen Stift und Euch in der Sommerpause mal über Euer digitales Erbe Gedanken zu machen und vielleicht ein Testament anzufassen. Zumindest den Teil habt ihr dann schonmal erledigt. Über den Tod sollte man nachdenken und zwar nicht so derart abartig, inhuman und widerlich, wie es zur Zeit in Bezug auf ertrinkende Menschen im Mittelmeer passiert.*

*Das politische Statement am Schluss. Macht sich immer gut. Ebenso ein Zitat eines bereits Verstorbenen:

 

„Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt“

– Bertholt Brecht.

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