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Mein Tagebuch, Polka und der Landesverrat.

In den 90ern des vergangenen Jahrhunderts war ich Ewigkeiten circa vierzehn Jahre alt. 

Wie nahezu alle meinen pubertierenden Geschlechtsgenossinnen, schrieb ich passioniert Tagebuch. 

 

 

 

Bewegendes im DIN-A6 Format. Oft mit verwackelten Fotos aus der letzten 36er Filmrolle und den Duckface-Selfies der ersten Stunde illustriert. Das wahre #nofilter und #picoftheday. Auch Gedichte über Liebe oder den Geschmack von Wolken finden sich darin. Lieder über Freundschaft, Atomkraft und Weltfrieden, wie beispielsweise mein selbstkomponiertes Lied "Kein Geld für Öl!" mit drei Akkorden zur Gitarre aus dem April 1993. Ich vermute, dass ich mich eigentlich gegen Krieg für Öl einsetzen wollte, aber Geld für Öl hatte ich auch nicht, daher zählt es in jedem Fall als Protestsong. Zudem zierten tiefsinnige Miss-Germany-Wahl-Weisheiten wie 

"Live your dreams. Face your fears"  

als Grafittientwurf in Ballonschrift meine Seiten. Ein Konflikt, geschrieben mit meinem königsblauen Lamyfüller und ultrahipper, smaragdgrüner Tinte. Mein Büchlein war, wie meine Bettwäsche auch, mit einem schwarz-weiß Foto eines amerikanischen Teenagerpärchens in Levi's Jeans auf der Route66 bedruckt und beinhaltet folgenden Meilenstein aus dem Oktober 1994:

"Liebes Tagebuch,

 

 * 19.10.1995 -

 

† 08.12.1995.

 

Es ist Schluß. Es hat genau 1 Monat und 19 Tage gehalten.

 

Chris und ich haben uns auseinandergelebt.

 

Polka ist gestern gestorben.*

 

Morgen schreiben wir Mathe.

 

Deine Nina."

*Polka war mein einäugiges Meerschweinchen. Das sollte ich für Polkafans sicherheitshalber erwähnt haben.

 

Logischerweise übermalte ich Chris' Gesicht auf dem vier Wochen zuvor eingeklebten Foto sofort mit schwarzem Edding und hörte tagelang "Where did you sleep last Night" von NirvanaKurt Cobain verstand mich. Ich vertraute dem Tagebuch an, dass ich beabsichtige nach Seattle zu pilgern um suizidäre Gedanken mit Kurts Grabstein auszutauschen. Meine Tochter sollte in seinem Andenken eines Tages auf den Namen "Frances Bean" hören. Meine beste Freundin präferierte zu dieser Zeit den Namen "Anna-Bêlle Juliètte Christin" für ihre Erstgeborene.

 

Warum zum Teufel erzähle ich Euch, was in meinem Tagebuch steht?

 Weil es privat ist. 

Es scheint so, dass das Label "Privat" aber heute hinten ansteht. Hinter Terror. Hinter Gesundheit. Hinter Wirtschaft. Deswegen kann ja gleich jeder wissen was drin steht. Oder nicht

 

 Das Tagebuch hatte 1995 eine vorinstallierte Schließanlage. 

Sie bestand aus einem winzigen, herzförmigen Vorhängeschloss aus Blech und einem dazugehörigen, mikroskopisch kleinen Schlüsselchen. Beides bewahrte ich an sehr geheimen Orten, getrennt voneinander auf. Meine Teenagererlebnisse erforderten selbstverständlich maximale Einbruchsicherheit. Ein unumstößlicher Grundsatz. Niemanden ging es etwas an, was mein Herz bewegte. Alle meine Freundinnen wären solidarisch mit Pechfackeln losgezogen, um meine Privatheit zu rächen, hätte jemand dreist meine Firewall aus Blech mit einem Zahnstocher, oder so, umgangen und einfach mal still mitgelesen.

 


Welche Naivität und trügerische Sicherheit trage ich 20 Jahre später zur Schau, gemeinsam mit nahezu allen Ex-Tagebuchschreiberinnen in diesem Land, wenn wir uns heute tatsächlich einbilden, dass wir "nichts zu verbergen haben."  

 

Als Vierzehnjährige, mit unseren Blechschlüsseln, hatten wir ein deutlich gesünderes Verhältnis zu unseren "Geheimnissen", als wir es heute haben. 

 Hurra, Hurra, der Landesverrat ist wieder da

 

 Die reale Bedrohung wegen "Landesverrats" der Journalisten von Netzpolitik.org ist ein guter Aufhänger, um zu umreißen, was die deutschen Behörden auf dem Gebiet der Überwachung so treiben dürfen und was mit unseren Daten geschieht.

(Nachtrag 2017: Der Bundestrojaner der auf unsere WhatsApp Daten zugreifen kann ebenfalls)

 

Landesverrat in den Zeitungen im In- und Ausland.

 

Die Journalisten von netzpolitik.org hatten unlängst Papiere veröffentlicht, denen zu entnehmen war, dass der deutsche Verfassungsschutz eine interne Abteilung geschaffen hat, die das Internet überwachen und Internetinhalte massenhaft erfassen und auswerten soll. 

Wer hat mit wem Kontakt. 

Wer surft auf welcher Website. Eine kostspielige Angelegenheit. Die Geheimhaltungsstufe entsprach der geringsten Klassifizierung und hat durch die Veröffentlichung der Journalisten genau den Wirbel verursacht, den Sachen wie diese in einer gesunden Demokratie auch verursachen sollten.

 

Verdächtige dürfen durchsucht werden. Zu Hause und im Internet.

 

Wer ist denn "Verdächtig"? Wer entscheidet das? Wir selbst? Oder jemand anderes, der uns für verdächtig hält? Jemand der Anzeige gegen uns erstattet? Oder fallen wir auf, weil jemand anderes was unrechtes tat und wir vielleicht mit drin hängen?


Schon der Verdacht einer Straftat hat durchaus Konsequenzen. Die Behörden beginnen zu ermitteln. "Verdächtiger" klingt so gemein. So schuldig. Aber schuldig ist man gerade (noch) nicht. 

Mein Sohn hat mich heute morgen verdächtigt, heimlich mit seinem Kleinkind-Fahrrad mit Stützrädern zum Bäcker gefahren zu sein. Wer mich kennt, weiß, dass dieser Verdacht nicht der Stützräder wegen absurd ist, sondern weil ich generell niemals Fahrradfahren würde. Nirgendwohin. 

Ein Ermittler aber kennt mich nicht, der müsste das nachforschen. Und beginnt zu wühlen. 


Darf man mich immer überwachen oder abhören?

Nein.

Nur bestimmte Straftaten oder der Verdacht, sie begangen zu haben, erlauben es den Behörden, die Verdächtigen zu durchsuchen, abzuhören und zu überwachen um den Verdacht zu bestätigen.

Diese möglichen Straftaten sind in § 100a der Strafprozessordnung  (StPO) aufgelistet und beeindruckend umfangreich. "Landesverrat" ist eine von ihnen. Sie reicht über Mord und Brandstiftung, Steuerhinterziehung und Mitgliedschaft in einer Bande, die Straftaten plant, bis hin zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, wenn man also verdächtig ist, Drogen zu verkaufen. Die große "Terrorgefahr" ist also in der Liste enthalten. Aber auch, wenn man verdächtig ist ein paar Einkünfte nicht ordentlich zu versteuern. 


Was darf der Ermittler dann tun?

 

Früher, zu Zeiten der Freundschaftsbücher, der Liebesbriefe und der Zettelchen, die durch's Klassenzimmer flogen, war die sogenannte "Hausdurchsuchung" nach § 102 bis § 110 StPO das Mittel der Wahl und ist nach wie vor ein dickes Ding. Ein Richter muss das -auch noch heute noch- erlauben. Das ist der "Richtervorbehalt".  Meist ist das eine viel zu leichte Hürde für die Behörden, finden Anwälte. Strafverteidiger wissen, dass der Richter einfach den ausformulierten Antrag der Staatsanwaltschaft unterschreibt. Die Zeit, umfangreich zu prüfen ob man zu Recht so massiv im Auge der Staatsanwaltschaft landete, hat er nicht. Wohnungen sind grundrechtlich geschützt, sie sind sehr privat. Briefe ebenfalls. Würde ich morgen ins Koma fallen, dürfte mein Mann nicht mal legal meine Post öffnen, er würde das Briefgeheimis verletzen. Für die Vorratsdatenspeicherung wird noch gestritten, ob ein solcher Richervorbehalt sein muss. Das ist irgendwie schräg. Der Bundestrojaner steht unter einem solchen Vorbehalt und dieser ist, da sind sich einige Juristen einig, eher Deko als Bürgerschutz.

Wir sind heute digital. Das ist ein Problem. Für uns.

 

Echte Papierbriefe verschicken wir heute nur noch beruflich. Fotos sind sämtlich digital auf dem Handy oder in der "Cloud". Rechnungen kommen per Email. Briefe an die Lieben ersetzen wir heute durch WhatsApp oder SMS mit Herzchen und lachenden Kackhaufen-Emojis an deren Handynummer. Der Dia-Abend vom Urlaub liegt heute als .jpg Datei hochgeladen beim Rossmann-Online-Fotoportal, geshared auf Flickr und die Tagebücher sind die Facebook-Timeline. Ganze Wohnungen mit Unterlagen befinden sich quasi digital im Internet.

 

Die Rückschlüsse, die sich aus diesen Aufzeichnungen unseres Alltags ziehen lassen, sind dagegen nicht weniger persönlich geworden, nur weil wir jetzt tippen statt Füllfedern schwingen. Im Gegenteil.

 

Hausdurchsuchung vs. digitales Mitlesen

 

Was wir bei der Nutzung des Internets und beispielsweise über WhatsApp in seinen vielfältigen Formen über uns preisgeben, ist viel mehr, als jede Hausdurchsuchung jemals über uns zu Tage fördern würde. Wir googlen heute alles kurz und klein. Früher dachten wir nur drüber nach oder schlugen mal im Lexikon nach. 

Wenn wir befürchteten, uns bei einem One-Night-Stand einen Tripper eingefangen zu haben, wusste dies einst nur unser Hausarzt und die Sprechstundenhilfe. 

Heute weiß es zuerst Google, dann der Arzt, dann die Sprechstundenhilfe und dank der zentralen, internetbasierten Speicherung unserer Gesundheitsdaten auch eine gewaltige Datenbank, verwaltet von...wem eigentlich? Wissen wir das alle? Und wissen wir wer sie liest? Oder wer sie in 10 Jahren lesen darf, wenn die Versicherungsleistungen noch knapper werden?

 

Die Heimlichkeit ist das Problem. Und die Perspektive der Ermittelnden. Für uns.

 

Es macht einen Unterschied, WER unser Geschriebenes oder Getipptes  liest. WARUM er es liest und mit welchen Hintergedanken. Will er einen Verdacht ausräumen? Ihn bestätigen? Ist er nur neugierig oder ein Kontrollfreak? Die Staatsanwaltschaft soll auch Entlastendes ermitteln. Die Praxis sieht da, so sagen Strafverteidiger, ebenfalls durchaus anders aus.

 

Meine Eltern beispielsweise hätten mich ausweislich meiner Tagebucheinträge für eine suizidäre Anarcho-Schwangere mit fragwürdigen Prioritäten halten müssen, die zudem Gefahr läuft, eine Karriere als gitarrespielende Frontfrau in der linken Liegefahrradfahrer-Szene anzustreben. Vermutlich hätte sie das mit der Gitarre am meisten besorgt.

 

Warum sollte die Fremdwahrnehmung bei bei unseren SMS, unseren Emails und unseren Fotos anders sein als bei Tagebüchern und Briefen?

 

Die digitale Durchsuchung vollzieht sich nämlich vollkommen still, stumm und unbemerkt. Eine Hausdurchsuchung geht dagegen nicht unbemerkt am Verdächtigen vorbei. Die meisten von uns merken nämlich, wenn 3-4 Erwachsene sich durch die Schubladen im Wohnzimmer pflügen und Habseligkeiten in Umzugskartons aus der Tür tragen. 

 

Vielleicht erfährt es ein Verdächtiger sogar nie, wenn sein WhatsApp Account, sein Facebook und GMX-Account ausgelesen wurde und sich der Verdacht gegen ihn eben nicht erhärtete. Dann geht die Akte der Behörden einfach innerhalb der Verjährungsfrist wieder zu. Fehlalarm. Anklage wird nicht erhoben. 

Kein Brief wie dieser erreicht den zu Unrecht ausgeforschten: "Hallo Herr Schultze, wir dachten, ihre Skatrunde wäre eine Geldwäschebande. Wir haben uns geirrt. Wir hatten ihren Facebook Account gehackt und bei WhatsApp ein paar Wochen mitgelesen. Nette Freunde haben Sie. Die Blonde mit den Brüsten finden wir auch am BestenBis bald, ihr Landeskriminalamt"

 

Das passiert doch alles nicht! Doch. Das passiert. Jeder Strafverteidiger weiß das.

 

Wer sind diese Nerds und warum regen sie sich so auf ?


Viele Datenschützer (das sind die Leute die diesen ganzen IT-Kram verstanden haben, den wir permanent nutzen, aber nicht durchschauen) schreien deswegen seit Monaten und Jahren mit Schaum vor dem Mund herum, wenn es um das "Telekommunikationsgesetz" geht, um "Vorratsdatenspeicherung" und um "Bestandsdaten" oder den "Bundestrojaner".  

 

Und was machen wir Internetuser derweil? Wir sind gewohnt irritiert von den Computer-Nerds, wie damals schon, in der neunten Klasse. Wir sollten zuhören, denn es trifft unsere Generation ganz direkt mitten ins Herz unserer Freiheit. Verdammt nochmal.

 

Ihr gehört gar nicht auf eine Liste der Verdächtigen? 

 

Den 318-Seiten langen Datenschutzbericht (hier die Anlage in Kurzform) unserer Bundesdatenschutzbeauftragten Daniela Voßhoff für 2013 und 2014 habe ich mir mit blutunterlaufenen Augen im Urlaub durchgelesen. Seitdem ist mir ködderig. Ich will meinen Blechschlüssel zurück und fordere eine Brieftaube. * Nachtrag: Mittlerweile gibt es einen aktuellen. Er ist ebenso gruselig.

 

Die Datenschutzbeauftragte Voßhoff beanstandet darin zum Beispiel, dass gesetzliche Löschungsfristen bestimmter Daten über Deutschlands Bürger einfach nicht eingehalten werden. Ignoriert? Keine Lust? Keine Zeit? "Nach sieben Tagen/30 Tagen sind die Daten zu löschen" steht in vielen Gesetzen als Gegengewicht zur erlaubten Datensammelei der Behörden. Verhältnismäßigkeit nennt man das. Wenn aber der menschliche Arm des Gesetzes, der Sachbearbeiter, nicht auf "Erase" drückt, dann löscht sich da eben auch nichts. 

 

Der ehemalige Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert sagte es ähnlich unabhängig und deutlich:

 "Unbestreitbar ist, dass die bestehenden rechtlichen Anforderungen in der Praxis oft nicht beachtet werden." 

Ein Gesetz, dass nicht beachtet wird, ist Schrott

Vollkommen nutzlos. 

Das gilt für uns Bürger und den Staat aber gleichermaßen.  Man gibt eben nur ungern wieder her, was man schonmal hat. Kennen wir alle.

 

Anti-Atomkraft ist extrem? So schnell wird man einer der Abhörbaren!

Frau Voßhoff berichtet in dem Papier von einem fidelen Haufen Anti-Atomkraftdemonstranten, deren Personalien irgendwie auf der Liste des Verfassungschutzes über "gewaltbereite Extremisten" gelandet waren. Das BfV begründete die Speicherung damit, dass "gegen Atomkraft demonstrieren" ein linksexremes Gewaltpotential habe. 

Fand Daniela Voßhoff nicht so gut und nannte das, zu Recht, einen "schweren Rechtsverstoß". Da gaben das Bundeskriminalamt und das BfV klein bei und räumten ein, dass sie diese unbescholtenen Menschen, die in ihrer Freizeit gegen Atomkraft umhermarschierten, nicht hätten speichern sollen. Diese Menschen hätten - wie oben erläutert- abgehört werden dürfen und ihre WhatsApp mitgelesen werden dürfen. 


So schnell geht das. 

#Hoppala. 

 

Manch' einer findet es nicht schlimm, auf einer Liste zu stehen, von der er gar nichts weiß


Was wir nicht wissen, macht uns nicht heiß?

Nun,  es gab mal eine Liste über Homosexuelle in Deutschland. Als sich die Stimmung in unserem Land recht plötzlich änderte, damals, als der schnauzbärtige Irre seine rechten Parolen durchgesetzt hatte, diente die einst "harmlose" Liste ein paar Jahre später dazu, diese Menschen unerbittlich zu verfolgen. Passte nicht mehr in die Gesinnung und schon hat eine Liste ungeahntes Zerstörungspotential für unser Leben, Glück und Freiheit.


So schnell geht das.

#Hoppala.

Quelle: Bild.de

Vielleicht darf man in 10 Jahren das Land nur noch verlassen oder wieder rein, wenn man nicht auf der "Hat-mit-Döner-herumgeworfen-Liste" steht? Meine Freundin Katrin hat mal alleine in der Fußgängerzone gegen durch Reifen springende Blauwale protestiert. Macht sie das zum militanten Tierschützer und steht sie auf einer gewaltbereiten Extremisten-Liste? Darf sie nächstes Jahr noch ausreisen, wenn jetzt die Fluggastdaten gespeichert werden? Vielleicht ist dieser Artikel schon unbequem und ich stehe auf der Blogs-die-wir-scheiße-finden-Liste? Ich weiß es schlicht nicht und etwas nicht zu wissen, macht unsicher. 

Der Staat möchte keine Systeme, die er nicht ständig mitlesen kann.WhatsApp wird verboten.

 

Der britische Premier David Cameron hat unlängst erwogen, Whats App, den iPhone "iMessanger" und auch Facetime zu verbieten. Deutschland stimmt ihm zu. Der Brite Cameron  begründete dies mit folgenden Worten, die Erstaunen hervorrufen: 

 „Müssen wir in unserem Land Kommunikationswege hinnehmen, die wir nicht mitlesen können? Nein, das müssen wir nicht.“

Puh, also ich wäre da jetzt zumindest mal zwiegespalten?

 

Briefe sind auch ein Kommunikationsweg. 

Werden die auch schon durchleuchtet? 

Abgefangen und wieder verklebt? Hier wäre ein Aufschrei vorprogrammiert. Ist der Brief getippt statt geschrieben, nehmen wir das hin. 

Ich will nicht, dass "mein Land" meine Whats-App lesen kann, ohne dass ich es weiß. 

Ich weiß ja nicht mal wer genau "mein Land" ist. Mein Nachbar bei der Kripo?

Text Messages sind wie kleine Briefe. Wie ein Tagebuch. 

 

Helmut Schmidt sagte vor 40 Jahren anlässlich des RAF-Terrors:

"Wer den Rechtsstaat zuverlässig schützen will, der muss innerlich auch bereit sein, bis an die Grenzen dessen zu gehen, was im Rechtsstaat erlaubt ist“.  

Damals wurde vom Fräulein zum Diktat in Steno mitgeschrieben. Die Grenzen haben sich durch das Internet heute massiv verschoben. Vom Internet ahnte der Helmut damals noch nichts. Thomas de Maizière weiß heute aber auch noch nicht, was 2045 an der Tagesordung sein wird

 

Ja. Terror durch radikale Extremisten macht mir Angst.  

 

Den braunen Mob, der Flüchtlingslager anzündet und auf Twitter Stimmung macht, möchte ich verfolgt wissen. Natürlich möchte ich, dass niemand meine Kinder stiehlt oder Menschen hochbombt, die ich liebe. Ich möchte sie lebenslang wegsperren und sie sollen dem System nicht entwischen. Ich bin all den Beamten und Sicherheitsleuten dankbar, die sich damit täglich rumschlagen müssen.

 

Aber wenn der SPD-Politiker Reinhold Gall twittert: 

"Ich verzichte gerne auf #vermeintliche Freiheitsrechte, wenn wir damit einen Kinderschänder überführen", 

dann möchte ich trotzdem entschieden widersprechen. Meine ungestörte Kommunikation mit Anderen sind echte Freiheitsrechte. Ich möchte auch anzweifeln, dass sich die Beweislage in der Edathy-Affaire mit der Speicherung irgendwelcher Daten auf Vorrat verbessert hätte. 


Die Franzosen sammeln bereits massenhaft Telefondaten und haben Charlie-Hebdo leider nicht kommen sehen. 

Mein allgemeines Lebensrisiko kann ich nicht durch eine Überwachung meines Alltags ausschalten lassen, das verschiebt nur die Quelle des Risikos, nicht die Gefahr.

 

Es darf schon sehr viel ausgelesen und gespeichert werden, ohne dass ich "verdächtig" war.


Die neue Fluggastdatenspeicherung erlaubt nicht nur, dass meine Reiseroute und meine Kreditkartendaten gespeichert werden, sondern auch, wer auf dem Platz neben mir saß. Auch die Daten von Ingo, meinem Reisebüromenschen, werden gespeichert. Dazu noch was ich an Bord gegessen habe. Fünf Jahre langIch finde Menschen die Lactose-Gluten-Fructosefrei-Vegan im Flugzeug bestellen, zwar schräg, aber nicht verdächtig.

 

Nicht fliegen aber unbeobachtet mit dem Auto wegfahren können wir leider auch nicht, denn Bordcomputer in Autos übermitteln das. An wen, weiß keiner so genau, oder? Warum sind die Daten wichtig? Vielleicht wird die KFZ-Versicherung auch deutlich teurer, der Versicherer kann bald sehen, wieviel ich und wohin ich wirklich fahre

 

Das Fitnessarmband  mit dem "Mach' Sport, Du fauler Sack" Tracker ist vielleicht bald Voraussetzung, wenn man den extra günstigen Krankenkassentarif haben möchte. Wer es verweigert, zahlt mehr. Wer wenig Sport machte, egal aus welchem Grund, bekommt weniger Zuschuss zu einer späteren OP? 


Hier auf dieser Seite, beschreibt der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, warum der eine bereits heute stundenlang in der Telefonhotline kleben bleibt und der andere sofort durchgestellt wird. Ich hänge da ewig fest, übrigens.

 

In 2014 wurde ausweislich der Statistik der deutschen Bundesnetzagentur alle 5 Sekunden bei ihr abgefragt, welcher Name zu welcher Telefonnummer gehört. 


Fast 7 Millionen mal. Soviele Mörder, Pädophile und Terroristen weilen hoffentlich nicht unter uns, sonst kauf ich mir morgen illegal 'ne Wumme und ziehe mit den Kindern auf einen Baum. 


Trotzdem werden Gesetze, wie das Telekommunikationsgesetz, fast ausschließlich mit unseren Ängsten vor diesen furchtbaren Leuten begründet. Die Masse der Anfragen zeigt, was passiert, wenn etwas erstmal erlaubt ist.

 

Diese Freimütigkeit der staatlichen Kontrolle macht mir Sorgen.


Sie unterliegt politischen Schwankungen und aufgeheizten Stimmungen und wird von normalen Menschen ausgeübt, die auch mal Fehler machen, schlampig arbeiten, überfordert und unterbezahlt sind, Eigeninteressen und die ganze Bandbreite an menschlichem Versagen in sich vereinen. Das ist normal. 

 

 

Sophie Scholl. Quelle: Bundesarchiv

1962 sang Elvis "We can't go on together with suspicious minds." Wie Recht er hat, auch wenn er nicht Vater Staat und Mutter Erde sondern Liebespaare meint.

Sophie Scholl spielte an einer Gefängnismauer auf der Flöte "Die Gedanken sind frei" von Hoffmann von Fallersleben für einen hitlerkritischen Verdächtigen. Ihren Vater. 


Hätte es damals Emails gegeben, wäre er als Verdächtiger staatsfeindlicher Gesinnung sicherlich digital ausgespäht und ebenso inhaftiert worden.

 

Wie sieht unsere Politik in 20 Jahren aus? 

Wer ist dann Feind des Staates, wer ist sein Freund?

Welche Nachteile können wir heute noch nicht absehen?

 

Also lest Eure Tagebücher, falls ihr mal was zum Lachen braucht und seid Euch bewusst, was um Euch, still und leise in Bits und Bytes, geschieht. Datenschutz ist wichtiger denn je. 

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